Wieder fit und aktiv am Leben teilhaben – dazu kann ein Reha-Aufenthalt den Weg weisen(stern+)

Wer über die große Tradition von Kur- und Reha-Medizin schreiben möchte, fängt am besten mit Goethe an. So ist es Brauch: Kaum ein Kur-Buch kommt ohne den Geheimrat und Großpoeten aus. Die Gründe sind einleuchtend. Kaum jemand von solch großer Berühmtheit war derart versessen, in eleganten Badeorten "Quality Time" zu verleben wie der Dichter und Minister: Sich zu regenerieren und sich selbstbestimmt vom Alltag zu rehabilitieren, vom Reimeschmieden und vom Regierungsamt, das war ein Lebensprojekt Goethes.

In älteren Kur-Historien, bevor aus seiner Nennung ein peinliches Zeichen zweifelhaften Nationalstolzes wurde, kann allenfalls noch Otto von Bismarck, der "eiserne Kurgast" mit dem Dichter konkurrieren. 

Die Wiege des gesundheitlichen Versorgungssystems

Allein 15-mal regierte Bismarck wochenlang aus dem unterfränkischen Bad Kissingen, heute bayerisches Staatsbad und Unesco-Weltkulturerbe. Des Fürsten Gesundheit war weniger eisern als sein Image: Der Preuße neigte zu psychosomatischen Beschwerden und theatralischen Beinahe-Nervenzusammenbrüchen.

Dass Bismarck nach dem Zweiten Weltkrieg unpopulär wurde, wegen seiner Tendenz, Politik mit Kanonensalven zu machen, verdankt sich auch seinem Tun in einem zweiten berühmten Badeort: Bad Ems nahe Koblenz. Dort, mitten auf der Kurpromenade, kollidierten am 13. Juli 1870 die Interessen Preußens (in Gestalt seines Königs Wilhelm) mit denen Frankreichs (verkörpert durch Botschafter Vincent Benedetti).

Bismarck machte aus dem Konflikt, aufgehängt an der spanischen Thronfolgefrage, die ebenso manipulative wie berüchtigte Emser Depesche. Er bekam den von ihm gewünschten Krieg mit Frankreich und als Folge davon das Deutsche Reich. Der Rest, so sagt man, ist Geschichte. 

Und von da an, mit dem Beginn des modernen deutschen Nationalstaats, betrifft sie, was Kur- und Reha-Medizin angeht, zunehmend jeden und jede von uns. Denn Bismarcks Reich, bei allen seinen Schwächen, ist die Wiege des deutschen Sozialstaats. Die Bismarck’schen Reformen, mit der Gründung der gesetzlichen Renten-, Unfall- und Krankenkassen, bilden die Wurzel des heutigen Versorgungssystems für Nachsorge und Prävention, den Keim der Rehabilitation mit Rechtsanspruch, den Anstoß zum Wandel von der mondänen Kurreise hin zur stationären (und mittlerweile oft auch ambulanten) Wiederherstellung von Körper und Seele in der Rehabilitation. 

Reha-Aufenthalte: Gesundheit als Gemeingut 

Aus der Reichsversicherungsordnung, die die Ansprüche für alle gesetzlich Versicherten begründete und (trotz ihres Namens) auch in der Bundesrepublik noch Jahrzehnte lang galt, ist mittlerweile das Sozialgesetzbuch geworden. Die Rehabilitation "für Menschen mit Behinderungen und von Behinderung bedrohte Menschen" hat darin seit 2001 einen eigenen Band, das "Neunte Buch Sozialgesetzbuch" (SGB IX). Dass auch "bedrohte Menschen" hier mit eingeschlossen wurden, ist von höchster Bedeutung: Man benötigt nämlich, um nach einem Krankenhausaufenthalt oder aus dem überlastenden Alltag heraus einen Platz in einer Fachklinik zu erhalten, keine Anerkennung einer schon eingetretenen Erwerbseinschränkung.

Deswegen wendet sich das breit gefächerte Rehabilitationsangebot in Deutschland auch an Kranke, die nicht behindert sind und obendrein an Menschen, denen Krankheit droht, etwa wegen Burnouts. Und das ist, wenn man es durchdenkt, eine sehr vernünftige Idee für die Solidargemeinschaft: Sie kann sich ja kaum wünschen, dass Zehntausende Menschen frühverrentet werden, weil sie schlicht nicht mehr können – obwohl ihnen hätte wirksam geholfen werden können. 

Was der Gemeinschaft dient, hilft auch dem Einzelnen: Rehabilitation, so lautet der ausdrückliche Auftrag des Gesetzgebers, soll Erkrankten und Behinderten dienen, "um ihre volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken" (§ 1 SGB IX).

Einen Reha-Aufenthalt beantragen 

Reha-Einrichtungen sind deshalb neben niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten sowie Krankenhäusern zur dritten, wichtigen Säule des Gesundheitswesens geworden. Noch in den 1990er-Jahren, in der sogenannten "Reha-Krise", war das alles andere als sicher, denn vieles, was etwa in traditionsreichen Kurorten als Gewohntes geliefert wurde, war nicht medizinisch und kaum noch zeitgemäß. Es folgte ein zum Teil sehr harter Wettbewerb, zuweilen ein Wüten der Rotstifte, doch gab es bald auch konstruktive Ansätze für eine grundlegende Modernisierung des Reha-Sektors. Und: Wesentliche Errungenschaften des Sozialstaats blieben in Deutschland für alle erhalten. 

Eine davon ist der Anspruch auch von Kindern und Jugendlichen auf Rehabilitationsmaßnahmen, der auch im SGB IX weiter abgesichert wurde. Eigentlich ist er nicht zwingend logisch: Kinder zahlen keine Rentenbeiträge, und der ursprüngliche Träger der Reha-Angebote, die Rentenversicherung, müsste nicht zwingend für sie einstehen. Doch der Präventionsgedanke hat auch hier gesiegt: Ziel ist es, möglichst jedem zu helfen, so gesund wie möglich und so selbstständig wie möglich zu leben.

Reha-Aufenthalt


Anspruch, Kosten, Beantragung: Sechs Fragen, sechs Antworten rund um den Weg in die Reha

Das führt allerdings, typisch für den deutschen Föderalismus und die Vielzahl unserer Institutionen, zu einer für Reha-Einsteiger etwas unübersichtlichen Kostenübernahme- und Antrags-Landschaft: Zuständig ist nämlich, je nach Fall, eine Krankenversicherung, die Rentenversicherung, die staatliche Beihilfe oder eine (hoffentlich vernünftig ausgestaltete) Privatversicherung. Eine Reha zu beantragen ist für Betroffene in aller Regel dennoch keine überfordernde Qual: Ist sie nach einem Krankenhausaufenthalt erforderlich, wird sie von dort, ansonsten meist vom niedergelassenen Arzt beantragt.

Große Vielfalt – Qual der Wahl? 

Das Spektrum der Diagnosen, die in Rehakliniken behandelt werden, ist heute ebenso breit wie die Medizin in Gänze: Es braucht Zeit und Übung, um nach einer Knie- oder Hüftoperation wieder voll auf die Beine zu kommen – in einer Reha ist sie zu haben. Gleiches gilt nach einem Herzinfarkt oder Schlaganfall. Doch das ist längst nicht alles. Gerade in der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, wie wichtig die Sorge um die Seele in unserer Zeit ist. So erzählt Dr. Gernot Langs, Chefarzt in Bad Bramstedt, gegenüber dem stern, dass die Belastungen der Reha-Patienten während der Pandemie zugenommen haben. Das Homeoffice lies sie vereinsamen, die Angst sich anzustecken belastet die Nerven. "Die Anmeldezahlen für die Reha sind sehr hoch. Aber ich kann nicht sagen, ob sie höher sind als vor Corona. Was wir aber gemerkt haben: Die Anmeldezahlen von Jugendlichen im Akutbereich sind durch die Decke gegangen", so Gernot Langs.  

Die Eltern-Kind-Kur, früher weithin als "Müttergenesung" bekannt ist eine weitere große Errungenschaft der deutschen Sozialpolitik. Peggy von Kügelgen und ihre Familie verloren in der Flutkatastrophe im vergangenen Juli nicht nur ihr Haus, die darauffolgenden Aufräumarbeiten belasteten die Mutter psychisch und physisch stark. Während eines Reha-Aufenthaltes in Scheidegg im Allgäu kann sie gemeinsam mit ihrem 8-jähriger Sohn Joshua, wieder zu Kräften kommen.

Wie alle Reha-Berechtigten in Deutschland hatten auch sie das Recht, den Ort für ihre Kur selbst auszuwählen. Doch dafür ist kaum jemand von uns Experte – ärztlicher Rat kann helfen, aber auch der Überblick, den unsere Expertinnen und Experten aus dem Institut MINQ für Sie mit großem Aufwand geschaffen haben: 680 Empfehlungen in 457 ausgezeichneten Rehakliniken finden Sie in diesem Heft. Diese umfassende Übersicht, so hoffen wir, dürfte sich als wertvolle Handreichung erweisen, wenn eine persönliche Entscheidung ansteht.

Die Zahl derer, die pro Jahr in Vorsorge- und Reha-Einrichtungen betreut werden, oft in traditionellen Kurorten, liegt in Nicht-Corona-Zeiten nahe an zwei Millionen. Deutlich mehr als 120.000 Beschäftigte kümmern sich um sie. Gut gemacht kommt Reha-Medizin dem Ideal der Heilkunde nahe: Sie ist präventiv, stiftet eigene Gesundheitskompetenz für ihre Patienten und schafft Lebensqualität. Oft schenkt sie außerdem neue Zuversicht.

Goethe, um auf ihn zurückzukommen, wurde 82 Jahre alt – für einen 1749 Geborenen eine Leistung. Seine ausgeprägte Kur-Lust wird dabei gewiss eine Rolle gespielt haben.

Die Methode

DER WEG ZUR LISTE

Nach einer schweren Krankheit, einem Unfall oder einer Operation möchte man schnell wieder auf die Beine kommen. Eine mehrwöchige Rehabilitation, ein stationärer Aufenthalt zur Wiederherstellung, kann dabei helfen. Aber wie soll man die Einrichtungen einschätzen, die der behandelnde Arzt vorschlägt? Woran kann man sich orientieren, wenn man gegenüber der Krankenkasse eine Wunschklinik nennen möchte? Antworten gibt die neue stern-Liste. Mehr als 1000 Rehakliniken wollen Patientinnen und Patienten wieder fit machen. Bei der Auswahl helfen die Tabellen. Sortiert nach 17 Fachbereichen nennen wir 457 Einrichtungen. Weil einige mehrfach vertreten sind, gibt es insgesamt 680 Empfehlungen.

  • Institut: Munich Inquire Media (MINQ) ist ein unabhängiges Rechercheunternehmen mit Sitz in München. Dessen Team aus Ärzten, Journalisten und Datenbankspezialisten erstellt seit mehr als 20 Jahren renommierte Listen zu medizinischen Spezialisten und Kliniken.
  • Vorgehen: Am Anfang stehen zwei Leitfragen: Welche Indikatoren sind gut geeignet, um die Qualität in einem Bereich der Medizin zu ermitteln? Und wer erfüllt diese Kriterien in herausragender Art und Weise? Grundsätzlich kann jede Reha-Einrichtung in die Liste aufgenommen werden, die im Verzeichnis der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation aufgeführt ist, die von Experten empfohlen wird oder ein anerkanntes Zertifikat erworben hat. Alle infrage kommenden Namen gelangen in den Recherchepool. Parallel wird dann in mehreren Strängen vorgegangen.Die Reputation wird in persönlichen, vertraulichen Interviews mit Medizinern hoher Expertise aus Rehakliniken und Akutkrankenhäusern ermittelt. Die Gespräche werden nach einheitlichen Leitfäden geführt und in einer Datenbank dokumentiert. Erhoben wird auch die Reputation bei Mitarbeitern der Sozialdienste der Krankenhäuser, die zu entlassende Patienten in die passenden Rehakliniken vermitteln und deswegen einen guten Überblick haben. Die Beurteilungen durch Patienten stammen aus den Befragungen für von den Kostenträgern vorgeschriebenen Qualitätsberichten der Einrichtungen. Diese Berichte enthalten weitere wichtige Indikatoren, die die Rehakliniken gegenüber MINQ offenlegen können. Alle Kliniken erhalten zudem die Möglichkeit, einen ausführlichen Fachfragebogen auszufüllen.
  • Auswahl: Ob eine Klinik in eine Liste aufgenommen wird, entscheiden allein die Redakteure bei MINQ. Das Votum wird begründet und dokumentiert. Mindestvoraussetzung sind Empfehlungen durch Ärzte und Sozialdienste. Das Ergebnis sind positive Empfehlungen anhand der genannten Kriterien und sorgfältiger Recherche. Das bedeutet aber nicht, dass die Qualifikation aller anderen, ungenannten Einrichtungen angezweifelt wird.
  • Transparenz: Die Entscheidungen zur Aufnahme in die Listen treffen ausschließlich Journalisten. Die Methodik hat die stern-Redaktion festgelegt. Nach der Veröffentlichung haben die Ausgezeichneten die Möglichkeit, für ihre Außendarstellung ein stern-Siegel zu erwerben. Genaue Informationen zu den Siegeln finden Sie hier.

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